Czeslaw M.

Modrzejewski, C._1938Die Zeit vor der Inhaftierung
1921 bis 1940

Czeslaw M. wurde am 22. November 1921 in Warschau geboren. In Praga, einem typischen Arbeiterviertel östlich der Weichsel, wuchs er gemeinsam mit seinem Bruder auf. Nach Abschluss der Volksschule besuchte Czeslaw M. die staatliche Eisenbahnschule, eine Fachschule der polnischen Staatsbahn, und trat damit in die Fußstapfen seines Vaters und Onkels. Ein Jahr später wechselte er zu einer Firma, die Flugzeuge produzierte und begann dort eine Lehre.
Am 1. September 1939 überfielen die deutschen Truppen Polen und belagerten bereits sieben Tage später die polnische Hauptstadt. Bis zum 28. September verteidigten die Warschauer ihre Stadt, mussten dann aber angesichts der zunehmenden schweren Bombardierungen den Widerstand aufgeben.

Im November 1939 feierte Czeslaw M. seinen 18. Geburtstag. Er erhielt einen Ausweis und Arbeitspapiere, die ihn als Belegschaftsmitglied der Flugzeugwerke auswiesen und war nun arbeitspflichtig.
Ende November wurde er zum ersten Mal bei einer Razzia in einer Straßenbahn aufgegriffen und sollte zur Zwangsarbeit nach Preußen gebracht werden. Einigen Inhaftierten, unter ihnen auch Czeslaw M., gelang jedoch die Flucht.

Trotz dieses Erlebnisses fühlte sich der junge Pole relativ sicher, da seine Ausweis- und Arbeitspapiere belegten, dass er in einem „kriegswichtigen“ Betrieb beschäftigt war. So war er auch anfangs nicht beunruhigt, als er im August 1940 von einem SS-Mann auf der Straße angehalten und mitgenommen wurde. Während dieser Straßenrazzia wurden mehrere hundert Männer festgenommen und in einem Stadion versammelt.

Die Zeit während der Inhaftierung
1940 bis 1945

Auf die Frage der Deutschen, wer von den Festgenommenen in der Rüstungsproduktion arbeite, konnte Czeslaw M. nicht antworten, da er kein Deutsch verstand. Aus diesem Grunde blieb er in der Gruppe der Gefangenen, die nach zwei Tagen ohne die Angabe irgendwelcher Gründe auf dem Westbahnhof Warschaus in Güterwaggons verladen wurden. Vor Beginn der Fahrt erhielt jeder der über 1000 Männer ein halbes Brot und ein Stück Blutwurst. Den Zielort kannten die Menschen in dem Transport nicht.
Am 22. September 1940 erreichte der Zug das Konzentrationslager Auschwitz. Die 1705 Häftlinge, die an diesem Tage aus dem Distrikt Warschau eingewiesen wurden, erhielten die Häftlingsnummer 3821 bis 4959 und 4961 bis 5526. Czeslaw bekam die Nummer 3999.
Das KZ bestand zu diesem Zeitpunkt kaum zwei Monate. Erst am 27. Juli 1940 waren die ersten polnischen Gefangenen in Auschwitz angekommen, um das Stammlager aufzubauen.

„Ich habe im Rollwagenkommando gearbeitet. Die Deutschen machten das damals so, dass alle Bauernhäuser, die auf dem Gebiet standen demontiert und das Lager vergrößert wurde. (…) Nein, das Lager war noch nicht fertig. Wir bauten diesen ganzen Zaun. Wir trugen auf dem Rücken diese Betonplatten, also der Betonsockel wurde gebaut und das alles machten wir. Das war eine schwere Arbeit, von morgens bis abends“, erinnerte sich Czeslaw M. an seine erste Zeit in Auschwitz.

Die schwere Arbeit, mangelhafte Ernährung und die desolaten Lebensverhältnisse setzten dem jungen Mann enorm zu. In nur sechs Monaten verlor er 34 Kilo, seine Hände und Füße waren erfroren, sein Lebenswille gebrochen. Czeslaw M. ist ein „Muselmann“ geworden. So nannten die SS und Häftlinge diejenigen, die dem Hungertod nahe, völlig entkräftet, apathisch und in ihr Schicksal ergeben waren.

„Wenn ich noch zwei Monate länger in Auschwitz geblieben wäre, dann hätte ich es nicht überlebt. Ich meine, dass ich mein Leben bestimmt an diesem Drahtzaun beendet hätte“, schätzte Czeslaw M. seine damalige Situation ein.

Im April 1941 nutzte er die sich bietende Chance, aus Auschwitz fortzukommen: Die SS wählte für den Transport in das KZ Neuengamme 1002 arbeitsfähige Männer aus und obwohl Czeslaw M. sich bereits in einem Zustand befand, in dem er die leichteste Arbeit nicht mehr ausführen konnte, gelang es ihm, in diesen Transport aufgenommen zu werden. Der Blockälteste, ein deutscher politischer Häftling, mit dem sich der junge Pole gut verstand, strich den Namen eines gesünderen Häftlings von der Liste und setzte dafür seinen Namen ein.
So wurde er im April 1941 in das Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg überstellt.

Nach der Einlieferungsprozedur, dem Erfassen der Personalien, Desinfektion und Rasur sämtlicher Körperhaare sowie der Verteilung von Häftlingskleidern, erhielt er eine neue Nummer: 5156.
Die Männer dieses ersten Transportes aus Auschwitz arbeiteten nach kurzer Quarantänezeit im Klinkerwerk-Kommando. Obwohl körperlich geschwächt und abgemagert wurde auch Czeslaw in dieses Kommando eingeteilt, das als eines der schwersten galt. Der größte Teil der Häftlinge arbeitete in den Tongruben wo sie im Morast, bei Nässe und Kälte den schweren Ton stechen und in Loren schaufeln mussten, die dann von den Gefangenen ins Werk geschoben wurden.

Im Herbst 1942 verließen die ersten Häftlingstransporte das KZ Neuengamme, um die Deportierten in Außenlager zu bringen. Diese wurden seit 1942 eingerichtet, um den Bedarf an Arbeitskräften in der Rüstungsproduktion zu decken. Auch Czeslaw M. wurde im Frühjahr 1943 von der SS für einen solchen Transport ausgewählt und nach Watenstedt-Salzgitter in das KZ Drütte auf dem Gelände der Reichswerke „Hermann Göring“ gebracht.

Wir sind direkt ins Lager gefahren. Es gab da eine Brücke und unter der Brücke war dieses Lager. Mit einem Stacheldrahtzaun auf der rechten Seite und dahinter die Hermann-Göring-Werke und die Flugabwehr“, beschreibt er seine Ankunft in einem der größten Rüstungsbetriebe des Deutschen Reiches.

Czeslaw M. wurde in Block 1 untergebracht. Insgesamt befanden sich vier Unterkunftsblöcke unter der Hochstraße. Er gehörte zu den wenigen, die nicht in der Rüstungsproduktion eingesetzt waren, sondern in einem Arbeitskommando, das für die SS tätig war.
Der junge Pole arbeitete als eine Art Diener für den Hauptsturmführer. Er machte ihm das Bett, räumte auf und brachte ihm das Essen. In dieser Zeit hatte Czeslaw M. die Möglichkeit sich von der schweren Arbeit in Auschwitz und Neuengamme zu erholen und Kräfte zu sammeln. Er besaß einen Passierschein und ging nach dem Appell aus dem Lagertor, in die Küche und von dort aus auf die Außenseite der Hochstraße zu den Baracken der SS. Doch schon nach zwei Monaten verlor er seinen Platz in dem Kommando, als er versuchte seinen schwer arbeitenden Kameraden zusätzliche Nahrungsmittel zu organisieren.

„Und dann ging ich in die Küche, um Kaffee für diesen Mann zu holen und ich stahl dort zwei Fleischkonserven für meine Kameraden. Und ich wurde einfach verraten und der SS-Mann, der am Lagertor stand, fragte mich: ‚Was hast Du in der Kanne?‘ Ich sagte: Kaffee‘ und dann musste ich ausschütten. Dort waren die zwei Fleischkonserven. Ich wurde mit 25 Stockschlägen bestraft, in Anwesenheit aller Häftlinge, also nach der Arbeit“, schilderte Czeslaw M. das gefährliche Erlebnis, das ihm durchaus das Leben hätte kosten können.

Die Versetzung in das Kommando „Blockbrecherei“, eines der schwersten im Werk, brachte ihn schnell wieder an die Grenzen seiner körperlichen Belastbarkeit, vor allem weil die Versorgung der Häftlinge – ihre Rationen sind auf 200-300 Gramm minderwertiges Brot, wässrige Suppe und dünnen Ersatzkaffee geschrumpft- immer schlechter wurde.
Die Pakete, die auch Czeslaw M. einmal in Auschwitz und Drütte von seiner Mutter erhielt, wurden häufig von der SS oder den Kapos geplündert.

Ungefähr ein halbes Jahr später versetzte die SS Czeslaw M. in ein anderes Arbeitskommando. In der Schmiede wurden die glühenden Stahlteile aus dem Ofen gezogen und in den Pressen Granatenrohlinge geformt. Dort arbeitete er, bis das Lager in der Nacht vom 7. zum 8. April 1945 evakuiert wurde, da die Alliierten bereits in der Nähe Salzgitters waren.

Nach einem abschließenden  Appell wurden die Männer des KZ Drütte, es sind ca. 3000, gemeinsam mit ungefähr 500 Frauen des Lagers Salzgitter-Bad direkt vom Appellplatz in Waggons verladen.
Als der Zug am nächsten Tag in Celle einfuhr, geriet er in den Angriff von US-Bombengeschwadern, die Munitionstransporte auf dem Bahnhof vermuteten.
Wohl die Hälfte der Häftlinge kam dabei ums Leben. Die Übrigen flüchteten in die Umgebung. Doch nach dem Ende der Bombardierung begannen SS, Volkssturm und Hitlerjugend, aber auch viele Celler Bürger eine regelrechte Treibjagd auf die Häftlinge. Czeslaw M., dem die Flucht geglückt war, erinnerte sich:

„Im Wald, hinter den Bäumen waren Hitlerjungen versteckt, die auf die Flugzeuge geschossen haben. […] Und als alles vorbei war, haben sie uns wahrgenommen. Den Häftlingen, die sie festnehmen konnten, befahlen sie, sich auf den Boden zu legen und sie schossen auf sie, auf den Kopf.“

Gemeinsam mit fünf oder sechs weiteren Häftlingen versteckte er sich im Wald. Dort traf die Gruppe auf einen polnischen Zwangsarbeiter, der sie mit Essen versorgte und berichtete, dass die ganze Gegend schon von den Amerikanern besetzt sei. Am nächsten Tag begegneten sie dann amerikanischen Soldaten, die ihnen als ehemalige Häftlinge eines Konzentrationslagers einen Passierschein ausstellten, der ihnen jede mögliche Hilfe gewähren sollte. Sie wurden in einem Lager für „heimatlose Ausländer“ untergebracht, das die Briten nach der Befreiung des Lagers Bergen-Belsen am 15. April 1945 in den ehemaligen Kasernen der Wehrmacht einrichteten.

Die Zeit nach der Inhaftierung
1945 bis 2003

Hier blieb Czeslaw M. bis zum Januar 1946. Er erholte sich langsam und spielte in der Fußballmannschaft Polonia Bergen-Belsen mit.
Die Briten brachten ihn in einem Transport bis nach Stettin, wo er in einem Durchgangslager registriert und weitergeschickt wurde. So kehrte er im Februar 1946 schließlich in das völlig zerstörte Warschau zurück. Kurz darauf begann er als Busfahrer zu arbeiten und half beim Aufbau der Stadt.

Im April 1992 besuchte Czeslaw M. das erste Mal nach dem Krieg das ehemalige Konzentrationslage Drütte. Zusammen mit anderen ehemaligen Häftlingen versuchte er seine Erinnerungen zum Lagerleben zu bestimmen und zu lokalisieren. Er war auch bereit, in einem Interview über seine Erlebnisse zu sprechen.

Im Jahr 2003 starb Czeslaw M. in seiner Heimatstadt Warschau.